Beate

In diesem/für dieses Land kein Kind mehr

 

❗ Inhaltshinweis ❗

Nachkriegstraumata, Alkoholkrankheit, Depressionen, Tod

 

"Kinder bekommen die Leute sowieso." (Adenauer)

Antwort: "NEIN"

 

Das wird also eine längere Geschichte, passend zu meinem langen Leben.

Diese Geschichte ist auch, wenn ich über alles nachdenke, immer wieder geprägt von einer großen inneren Wut, die manchmal auch nach außen durchbricht.

 

Ich bin 1949 in Ostberlin/DDR geboren und habe mein Leben dort bis zu meiner Ausreise nach Westdeutschland im Jahre 1976 verbracht. Unterbrochen wurde das nur für vier Jahre von einem Studium an der TU Dresden, das ich als als Diplomingenieur abschloss. Das war in der DDR nichts besonderes. Außerdem war es mir nach damaligem Stand auch möglich, parallel zum Abitur eine Berufsausbildung zu machen. Das alles habe ich immer als großen Gewinn betrachtet.

 

Als ich als junge Frau erstmals darüber nachdachte, ob ich Kinder bekommen sollte, war meine Antwort nein. Diese Entscheidung kam aus meinem Unterbewussten und ich habe erst später verstanden, woraus sie resultierte.

 

Ein Grund dafür war, dass meine Mutter aufgrund ihrer eigenen Geschichte keine gute Mutter sein konnte (u. a. Nachwirkungen von zwei Weltkriegen). Sie war Alkoholikerin und depressiv und mein Vater hatte zusätzlich dazu bis zum Mauerbau 1961 eine ziemlich gefährliche "Existenzgrundlage" für unsere Familie aufgebaut. Sie bestand darin, dass er als freiberuflich Tätiger Schwarzarbeit für einen größeren Kunden in Westberlin ausführte. Die Kunden in Ostberlin hätten nicht ausgereicht und außerdem war ein Leben mit dem Umweg über die Geldwechselstuben in Westberlin auch ziemlich komfortabel – also eine (würde ich sagen) einzige Lebenslüge. Mein Vater und sein Auftraggeber profitierten davon. Alle Unterlagen für die Steuer im Osten mussten mit Hilfe eines Steuerberaters in Westberlin aufwändig frisiert werden.

 

Das Schlimme war für mich, dass ich das alles schon im Vorschulalter hautnah mitbekam, und im Nachhinein fühle ich mich auch von meinem Vater regelrecht missbraucht, weil er mich für den Schmuggel seiner Arbeitsergebnisse über die Grenze nach Westberlin sozusagen als "Schutzschild" benutzte – älterer Herr geht mit kleinem Kind an der Hand über die Grenze und fängt auch noch an, mit den "Vopos" (Volkspolizisten) zu scherzen.

Auch für meine Mutter war ich beim Weg über die Grenze zum Steuerberater in Berlin Neukölln so ein "Schutzschild". Als ich dann 1957 in die Schule kam, ging das nicht mehr ganz so.

 

Mein Gefühl war ständig, dass ich auf meine Eltern aufpassen muss – meine Mutter trinkt, mein Vater macht gefährliche Dinge, über die ich nirgendwo erzählen durfte. Diese diffuse Gefühl verdichtete sich für mich später als Erwachsene in der Erkenntnis, dass ich so durchaus in einem Kinderheim hätte landen können.

 

Insbesondere Mutter hat mir so also eigentlich nur wenig mitgegeben, was mich dazu befähigt hätte, selbst eine wenigstens ausreichend gute Mutter zu werden. Das muss ich gespürt haben.

 

Für mich als junge Frau waren schon damals ausschlaggebend, was den den Kinderwunsch anlangt, die Erzählungen meiner Mutter aus ihrem Leben als junge Frau. Sie hatte sogar einen Beruf erlernt und arbeitete auch. Wenn eine Frau damals arbeitete, das war bei ihr so ab 1930 der Fall, so konnte sie davon bestimmt nicht allein leben. So würde ich sagen, ist sie dann in die Ehe mit meinem Vater "geschlittert", nachdem beide Elternteile schon früh verstorben waren.

 

Für mich hieß das also, immer darauf zu achten, unabhängig zu sein. Das habe ich für einen großen Teil meines auch Lebens geschafft.

 

Auch meine Eltern sind früh verstorben.

Mein Vater starb, als ich im ersten Semester war, meine Mutter zwei Jahre später, da hatte ich das Studium gerade zur Hälfte hinter mich gebracht und war 21 Jahre alt. Darüber war ich nach alledem damals sogar froh und brachte das Studium irgendwie zu Ende.

 

Aber ich hatte überhaupt keine Familie mehr – keine Geschwister und nahen Verwandten.

 

Schon während des Studiums, wenn ich mich an den Wochenenden bzw. auch in den Ferien in Berlin aufhielt, habe ich meinen ersten Mann kennengelernt, der aus familiären Gründen häufig nach Westberlin kam und dafür auch Ostberlin besuchte.

 

1974 kam aus dieser Verbindung mein Sohn zur Welt, geplant hatte ich so etwas nicht.

Nach der Beratung beim Frauenarzt hätte ich in der DDR nun abtreiben können, aber das wollte ich nicht. Nach drei Tagen Bedenkzeit entschied ich mich dagegen. Da war wohl der Wunsch nach einer kleinen Familie – ich hatte mich auf erst einmal auf eine kleine (mich und meinen Sohn) eingestellt. Ich gebe zu, dass auch noch die Vaterschaft geklärt werden musste.

 

Daraus wurde dann nach der Geburt auch der Ausreiseantrag aus der DDR, dem nach ca. 1,5 Jahren mit viel Stress stattgegeben wurde. Inzwischen gab es ja das KSZE-Abkommen (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).

 

In der DDR war mein Arbeitsplatz gesichert und die Unterbringung meines Sohnes auch, total abstürzen konnten wir da nicht. Aber der Wunsch nach Familie war wohl größer und da ich Jahrzehnte später dann auch meine Stasiakte gelesen habe, wäre ein Bleiben in der DDR wohl ziemlich schwierig geworden. Ich sollte nämlich als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) angeworben werden.

 

Aus der kleinen Familie ist dann mit einem Schlag eine ziemlich große Familie geworden, denn mein Sohn hatte nun drei ziemlich schwierige Halbgeschwister, deren Mutter ebenfalls Alkoholikerin wie meine Mutter war. Das wusste ich zwar alles vorher, aber so etwas kann Frau ja nicht vorher austesten (da war wohl auch ein Helfersyndrom im Spiel) – plötzlich vier Kinder statt einem und der Kulturschock nach dem Wechsel über die Grenze. Ich hatte, was den Westen anlangt, wohl nicht so viele Illusionen wie mancher andere, z. B. vor der Wende 1989, aber es hat zur Vorbereitung doch nicht gereicht.

 

So viele Dinge hätte ich nicht für möglich gehalten:

  • Diskriminierung als Frau im Männerberuf
  • Arbeitsämter, bei denen es noch extra Sachbearbeiter/Abteilungen für Frauen und Männer gab
  • Diskriminierung als Frau/Familie mit vier Kindern
  • gerade erst seit Kurzem musste der Mann nicht mehr der Berufstätigkeit der Ehefrau zustimmen
  • Ehegattensplitting
  • die Querelen, überhaupt Kitaplätze zu bekommen und dann zu finanzieren, wo Frauen doch eigentlich an den Herd gehören
  • Rabenmutter
  • wahrscheinlich schlechtere Bezahlung
  • Wohnungssuche für die Familie und für mich später als Alleinerziehende

Besonders "gern" erinnere ich mich immer an die Bemerkung eines "Herren Professor", der zu mir sagte: "Aber sie brauchen doch gar nicht zu arbeiten, sie sind doch verheiratet!"

 

Ist so eine lange Ausbildung einfach ein Witz?

 

So etwas in einem Land gesagt zu bekommen, in dem das eigentlich als volkswirtschaftlicher Schwachsinn und ineffizient angesehen werden müsste, ist schon haarsträubend. Schließlich wurden/werden auch im Westen Frauen erst aufwändig ausgebildet und dann an den Herd geschickt oder inzwischen "nur in Teilzeit".

 

Es ist mir damals gelungen (mit dem Umweg über eine ABM-Stelle nach ca. einem Jahr und einem befristeten Arbeitsvertrag), tatsächlich eine Anstellung als Ingenieur zu bekommen – 40 Stunden in der Woche mit vier Kindern in einem Männerberuf. Die Stelle war zwar fachfremd, aber das Gefühl war – jetzt hast du erst einmal ein Fuß in der Tür.

 

Aber ein Fuß hat halt nicht gereicht!

 

Das ist natürlich nicht lange gut gegangen. Nach drei Jahren war ich so fertig, dass ich mich getrennt und in eine WG gezogen bin, nach dem Trennungsjahr dann die Scheidung eingereicht. Zum Glück hatte sich inzwischen ja das Scheidungsrecht geändert und die sogenannte "Schuldfrage" musste nicht mehr geklärt werden.

 

Ich habe in dieser Zeit bei dem ganzen Stress gegenüber den Geschwisterkindern bestimmt viele Fehler gemacht. Dafür habe ich mich vor einigen Jahren versucht, bei ihnen zu entschuldigen. Sie haben die Entschuldigung angenommen.

 

Jetzt hieß es also, wenigstens den Status quo zu sichern. Das bedeutete, dass wenigstens der äußere existentielle Rahmen gesichert werden musste, um dann eine ausreichend gute Mutter sein zu können.

 

Zu den Bedingungen kam auch "nur ein" weiteres Kind schon gar nicht mehr in Frage.

Mir war nicht klar, wie ich das hätte schaffen können.

 

Damals 1980, ich war um die 30 Jahre alt, hatte ich einen erstaunlichen Frauenarzt.

Im einzelnen erinnere ich mich gar nicht mehr an das Beratungsgespräch:

  • ständige Schmerzen und Verwachsungen im Bauchraum wegen Intrauterin-Pessar schon in der DDR
  • Pille nicht so gut vertragen und immer Angst vor Einnahmefehlern wegen Dauerstress
  • unregelmäßiger Zyklus
  • Depotspritze ausprobiert
  • Sterilisation meines ersten Mannes
  • Trennung
  • 40‑Stunden-Woche als Alleinerziehende

Nachdem ich das alles geschildert hatte, schrieb er mir eine Überweisung aus und erklärte mir auch, wohin ich damit gehen müsste. Dieses Krankenhaus gibt es inzwischen nicht mehr. Es gab keinerlei moralische Vorhaltungen durch den Frauenarzt! Er praktiziert natürlich schon lange nicht mehr.

 

Im Krankenhaus lief sich das etwas anders ab. Es wurde in meiner Erinnerung zwar nicht moralisch. Aber ich empfand/empfinde die damals gestellten Fragen/Bedingungen als willkürlich.

 

Soviel ich inzwischen weiß, gibt es bis heute keine Bedingung für eine Sterilisation, außer, dass Frau über 18 Jahre alt sein muss und gesundheitliche Gründe dagegen nicht vorliegen. [Anm. vom Verein: Voraussetzung in Deutschland sind Volljährigkeit und Entscheidungsfähigkeit.]

 

Ich beobachtete u. a., dass eine Mitpatientin anders behandelt wurde als ich, bereits geschieden, ein Kind, ich jünger als sie und gesund.

 

Von ihr, kinderlos, wurde eine Unterschrift des Ehemannes verlangt. Natürlich ist es besser, wenn in einer Partnerschaft Übereinstimmung zu dem Thema besteht, aber eine Unterschrift zu verlangen ist unzulässig. Die Frau hatte in der Kindheit auch Kinderlähmung gehabt und konnte deshalb nicht gut laufen.

 

Mir passierten andere Dinge. Mir wurde nahegelegt, dass ich doch gleich eine Totaloperation machen lassen könne, wo ich doch keine Kinder mehr haben wolle. Ich glaube, dafür gab es damals auch ökonomische Gründe für Ärzte, die eine eigene Praxis eröffnen wollten – Anzahl abgeschlossener großer OPs!? Diesem Ansinnen konnte ich ganz vehement Einhalt gebieten mit der Bemerkung "Ich brauche die (meine Gebärmutter) noch". Was ja nicht nur psychologisch, sondern auch medizinisch stimmt. Da gab es keine Diskussionen mehr.

 

Die Sterilisation sollte im "Gucklochverfahren" (Laparoskopie) mittels Abbinden der Tuben ausgeführt werden. Mir wurde aber auch eröffnet, dass ggf. ein großer Bauchschnitt erforderlich sein könnte wegen der Verwachsungen im Bauchraum, die gelöst werden müssten. So ist dann auch gekommen und ich habe danach auch nie wieder Probleme damit gehabt. Das Aufwachen auf der "Aufwachstation" war allerdings schon ein kleiner Schock und mit dem großen Schnitt hatte ich an den folgenden Tagen schon meine Probleme. Die Narbe ist allerdings sehr geschickt gelegt worden und es ist nichts zu sehen. Sie liegt in einer natürlichen Falte.

 

Woran ich mich überhaupt nicht erinnere, ist die Frage der Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Ich habe jedenfalls nichts selber bezahlen müssen. Lag es an dem nötigen großen Bauchschnitt?

 

Probleme hatte ich allerdings mit meinem ehemaligen Mann, denn für die Zeit des Krankenhausaufenthaltes musste ich meinen Sohn ja irgendwo unterbringen. Eine grundsätzliche Besuchsregelung gab es ja und andere Möglichkeiten nicht vorhanden – keine Verwandten.

 

Da ich nun länger im Krankenhaus verweilen musste, wollte ich auch mit meinem Sohn telefonieren. Das wurde für mein Gefühl hintertrieben. Mein Geschiedener behauptete, der Kleine wolle nicht ans Telefon. Das machte mir schwer zu schaffen. Außerdem sagte mein Geschiedener, solche wie ich dürften sowieso überhaupt keine Kinder bekommen.

 

Ich bekam wohl deshalb so eine Art Gallenkolik mit ziemlichen Schmerzen. Hatte ich noch nie gehabt und später auch nie wieder. Zum Glück gab es eine sehr einfühlsame Krankenschwester, die mich erfolgreich mit einer Wärmflasche versorgt hat.

 

Nachdem ich das hinter mich gebracht hatte, nahm ich mir vor, etwas gegen meine aus meiner Sicht unsichere beruflichen Situation zu unternehmen, und habe mich deshalb um eine Umschulung in einen sichereren Bereich gekümmert – EDV. So etwas ging damals noch aus einer festen Anstellung heraus.

 

Dabei habe ich dann auch meinen späteren zweiten Mann kennengelernt. Er wollte eigentlich immer eigene Kinder haben, musste sich aber damit bescheiden, mit für meinen Sohn da zu sein. Das hat dann geklappt, bis jetzt also schon mehr als 40 Jahre. In gewisser Weise war ich von da an besonders erleichtert darüber, dass ich nun keine Kinder mehr bekommen konnte, denn sonst hätte ich seinem Kinderwunsch doch noch nachgegeben. Er konnte/kann sehr viel besser mit Kindern umgehen als ich, ich bin eben etwas beschädigt. Als mein Sohn dann schon größer bzw. erwachsen war, hat er sich die "Erlaubnis" eingeholt, andere Kinder mit "ins Haus" zu bringen. Wie hätte ich ihm das verwehren können.

 

Ich selbst habe es seit mehr als 50 Jahren mit wiederkehrenden depressiven Phasen zu tun und habe bis zu meiner vorzeitigen Berufsunfähigkeitsrente mit meiner beruflichen Existenz kämpfen müssen, weitere Umschulungen eingeschlossen. Das ist ein Ergebnis der ganzen Vorgeschichte und es war wohl wirklich besser, keine weiteren Kinder zu bekommen. Das Leben mit einer depressiven Mutter kenne ich einfach zu genau. Ich bin froh, mit Hilfe meines Mannes das Leben bis hierhin überstanden zu haben.

 

Wirklich besser geworden sind die äußeren Umstände ja eigentlich nicht.

 

Jetzt haben wir auch noch zunehmende Spaltung der Gesellschaft, Klimawandel und Krieg.

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